Fabian Fritzsche over de lage inflatie
Fabian Fritzsche, via Wirtschaftswunder
Einmal mehr ist Inflation ein großes Thema in Deutschland, doch nicht etwa weil die letzten Preissteigerungsraten so hoch gewesen wären. Die Jahresrate wurde für den September mit 2,1% angegeben und der Trend zeigt seit Ende letzten 2011 nach unten und auch die Öl- oder sonstigen Rohstoffpreise gaben keinen Anlass zur Besorgnis.
Dennoch warnten Bundesbankpräsident Weidmann, Bankenverbandspräsident Schmitz, die Wirtschafsweisen in ihrem Herbstgutachten, Finanzminister Schäuble sowie ein großes deutsches Nachrichtenmagazin einhellig vor der kommenden oder gar schon stattfindenden Entwertung der deutschen Sparguthaben. Wie es zu übermäßig hohen Inflationsraten kommen soll, bleibt jedoch unklar, angeführt wird lediglich die expansive Geldpolitik der EZB, die in wenigen Jahren oder bereits jetzt zu Vermögensverlusten führe.
Für die angeblich schon jetzt stattfindende schleichende Enteignung wird jedoch allenfalls sehr indirekt die Inflation selbst verantwortlich gemacht. Vielmehr wird es als Problem für die Sparer angesehen, dass die Zinsen durch die EZB-Politik unterhalb der Inflation liegen. Das ist zwar insbesondere in Deutschland richtig, allerdings wäre es gerade für Kleinsparer wenig sinnvoll, die Inflation unter das Zinsniveau zu drücken. Denn dafür müssten die Lohnabschlüsse und damit letztlich die Rentenerhöhungen noch niedriger ausfallen als ohnehin schon. Der Preis für ein wenig mehr Realzins auf dem Sparbuch wären dann also reale Einkommensverluste. Und höhere Zinsen sind auch für Deutschland in einer Situation unterdurchschnittlichen und nachlassenden Wirtschaftswachstums keine zielführende Empfehlung. Zudem ist es fraglich, ob EZB-Zinserhöhungen überhaupt zu steigenden langfristigen Zinsen in Deutschland führen würden. Schon jetzt fließt viel privates Kapital aus den Krisenländern nach Deutschland und sorgt für sehr niedrige Zinsen. Zinserhöhungen, die das Wirtschaftswachstum belasten, würden diesen Trend wahrscheinlich eher verstärken und die langfristigen Zinsen hierzulande damit niedrig halten.
Die wirkliche Inflationsgefahr wird jedoch ohnehin in der Zukunft gesehen – das allerdings seit Jahren. Spätestens mit der Senkung des Refinanzierungssatzes auf 1% im Jahr 2009 wird mit Verweis auf die expansive Geldpolitik vor hoher Inflation in den kommenden Jahren gewarnt. Es ist jedoch schleierhaft, wie es bei deutlicher Unterauslastung der Produktionskapazitäten (auch in Deutschland), Rekordarbeitslosigkeit in der Eurozone, stagnierenden Einkommen und einer extrem schwachen Kreditvergabe zu Preisdruck kommen soll. Weder das Fehlen eines schlüssigen Wirkungsmechanismus noch die ständigen Fehlprognosen halten jedoch offenbar vor immer neuen Inflationswarnungen ab.
Auch in anderen Ländern gibt es gelegentlich eine Inflationsdiskussion, doch ist die Angst in Deutschland offenbar besonders ausgeprägt. Als Grund wird immer wieder die deutsche Hyperinflationserfahrung angeführt, die sich tief ins kollektive Gedächtnis eingeprägt habe. Das mag zwar stimmen, allerdings war Deutschland neben den USA auch am stärksten von der Weltwirtschaftskrise in den frühen 1930er Jahren und ihren bekannten Folgen betroffen und dabei handelte es sich um eine Deflationskrise. Die Erfahrung von Massenarbeitslosigkeit und drastisch fallenden Einkommen scheint demnach weniger dauerhaften Eindruck hinterlassen zu haben als die Geldentwertungen der frühen 1920er Jahre und nach dem Zweiten Weltkrieg. Wo auch immer die Gründe liegen, Tatsache ist, dass der Hinweis auf Inflationsgefahr in Deutschland populär ist, der Verweis auf die Notwendigkeit expansiver Politik in Zeiten der Krise hingegen als unseriös und leichtsinnig gilt. Auch diese Art von Populismus, scheinbar seriöse, vernünftige Forderungen zu stellen, sollten Politiker vermeiden. Denn sicherlich kann darüber gestritten werden, ob eine weitere Zinssenkung in der aktuellen Situation überhaupt noch Auswirkungen hat. Unbestreitbar sollte aber sein, dass eine expansive Politik bei tiefer Rezession und hoher Arbeitslosigkeit in der Eurozone notwendig ist. Inflationsgefahr droht nur dann, wenn die Politik auch in einem kräftigen Aufschwung expansiv bleibt, doch davon ist die Eurozone derzeit sehr weit entfernt.